Wer kennt es nicht, die App sagt Notbetreuung und schon nimmt das Gedankenkarussell seinen Lauf.
„Wie erklärt ich meinem Chef, dass heute 2 Kinder im Büro sitzen und spielen?“
„Ich kann es mir nicht leisten heute zu fehlen, ich muss zur Arbeit, sonst werde ich gekündigt. Wo lasse ich nur die Kinder?“
„Hoffentlich merkt niemand das meine Kinder heute zu Hause sind, während ich im Homeoffice arbeite, meine Kollegen haben kein Verständnis für meine Situation.“
Wir Eltern sind nicht die Einzigen, die Notbetreuung als puren Stress empfinden. Folgende Zitate von Erziehern*innen und Leitungen sind aus dem Kita-Krisenbuch der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
(https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/sonst_publikationen/KiTa-Krisenbuch.pdf)
„Eigentlich haben wir nur noch „Schadensbegrenzung“ betrieben. Ich habe mich so hilflos und allein gefühlt.“ (Zitat Erzieher*in, S. 23)
„Dieser Junge wurde erniedrigt und das bestimmt nicht zum ersten Mal. Ich kann jetzt nicht zum Personalgespräch bitten, die Lage ist personell so angespannt, dass ich keine weitere „kranke“ Mitarbeitende riskieren kann.“ (Zitat Leitung, S.20)
„Eineinhalbjährigen Kindern wird abverlangt, dass sie sich selbstständig Jacke, Schuhe und Matschhose ausziehen. Wenn sie das nicht schaffen – aus welchen Gründen auch immer –, werden sie laut angemotzt.“ (Zitat Leitung, S.21)
„Mit mehr Personal hätte das verhindert werden können. Und die Kinder reagieren (mit Hauen, Beißen, aggressiv) nur angemessen auf die Umstände, die in den Kitas herrschen.“ (Zitat Erzieher*in, S.22)
Keiner wünscht sich die Situation einer Notbetreuung oder gar einer Schließung der Kita. In 2024 erhielt das Jugendamt des Rhein-Hunsrück-Kreises 492 Meldungen nach §47 SGB VIII. Hier geht es um Meldungen über alle Ereignisse oder Entwicklungen, die geeignet sind, das Wohl der Kinder zu beeinträchtigen. Also z.B. um Notbetreuung, Schließung der Kita, reduzierte Öffnungszeiten, päd. Einzelfälle (herausforderndes Verhalten), Gefährdung des Kindeswohls usw.
Dabei ist zu beachten, dass nicht alle Kitas immer eine Meldung machen. Verschiedene Meldungen sind nicht verpflichtend. Eine Meldung ist als Ereignis zu verstehen, sie sagt nichts über den Zeitraum, für den sie gilt, aus.
Im Jahr 2024 wurden folgende Ereignisse gemeldet:
-162 Fälle von Notbetreuung in der Kita
-9 Fälle von Schließungen der Kita
-22 Fälle von Schließung einer Gruppe
-9 Fälle von Schließung mehrerer Gruppen
-641 Fälle von reduzierten Öffnungszeiten
-27 Fälle von reduzierter Kinderzahl
An insgesamt 1079 Tagen wurden Maßnahmen gemäß Maßnahmenplan eingesetzt.
Die eben genannten Zahlen scheinen auf den ersten Blick nicht hoch. Wir haben aber darunter Kitas, die von Anfang November 2024 bis Ende Januar 2025 nur 30 Tage Regelbetrieb hatten. Je nach Konstellation werden hier wenige Meldungen nötig. Wenn z.B. sofort absehbar ist, dass der Personalengpass mehrere Tage dauern wird, kann eine Meldung für einen langen Zeitraum ausreichen. Nicht zu vergessen ist, dass freiwilliger Verzicht der Familien auf Betreuung hier nicht dokumentiert, aber in vielen Kitas praktiziert wird. Viele Meldungen finden im Spätjahr statt, da wir in diesem Zeitraum den meisten Krankheitswellen ausgesetzt sind.
An dieser Stelle möchten wir an alle Eltern appellieren: kranke Kinder gehören nicht in die Kita! Oft stecken sich die Kinder und somit auch die Erzieher*innen bei Kindern an, die bewusst z.B. mit Fieber, Durchfall usw. in die Kita geschickt werden. Dies führt zu einem Teufelskreis, der oft nur schwer durchbrochen werden kann.
Eine weitere Situation, die eine kleinere Kita sehr schnell zum Kollaps bringen kann, entsteht wenn Vollzeitkräfte durch z.B. Schwangerschaft sofort arbeitsunfähig werden. Gehört die Kita nicht zu einem Träger, der einen Vertretungspool hat, wird sehr schnell in den Notbetrieb gewechselt. Eine neue Fachkraft zu finden, gestaltet sich oft schwierig und ist zeitaufwendig.
Der Fachkräftemangel und die Personalausstattung einer Kita lassen sich in der Regel nicht kurzfristig ändern. Um das System Kita, welches sehr schnell kurz vor dem Zusammenbruch stehen kann, zu entspannen, gibt es verschiedene Optionen.
Wir möchten die Möglichkeit, Eltern ehrenamtlich in der Kita einzusetzen, näher beleuchten.
Vorab muss jedem von uns klar sein, dass nicht jeder Elternteil dazu geeignet ist in der Kita auszuhelfen. Dies kann an der persönlichen Eignung oder auch an der Situation mit dem eigenen Kind in der Kita liegen. (Nicht jedes Kind findet es gut, wenn Mama oder Papa den ganzen Tag in der Kita sind.)
Des Weiteren ist es eine Frage der Verantwortung. Die Leitung (bzw. der Träger) übernimmt diese für die ehrenamtlichen Eltern, genauso wie für Ihre Mitarbeiter*innen. Somit sollte immer die Leitung die Entscheidung treffen, ob diese Option von ihr gewünscht ist und wer dazu eingesetzt wird. Ihre Meinung sollte respektiert werden, sie haftet und muss es verantworten!
Um vorbereitet ins Gespräch mit Leitung und Träger gehen zu können, haben wir die folgenden Informationen zusammengetragen.
Notbetreuung:
Diese entsteht, wenn der Betreuungsschlüssel nicht mehr eingehalten werden kann. Bei Kindern über 2 Jahren haben wir einen Schlüssel von einer Fachkraft zu zehn Kindern. Des Weiteren muss die Regelung das mind. zwei Fachkräfte in der Einrichtung sein müssen, beachtet werden.
Lösungsansatz:
Die Regelung bzgl. zwei Fachkräften in der Einrichtung wird im Rundschreiben des LSJV 39/2022 näher erläutert. Hier wird herausgestellt, dass eine Abweichung in Ausnahmefällen möglich ist. Und zwar dann, wenn der Regelbetrieb nicht mehr gewährleistet werden kann (Notbetreuung) oder sogar die Schließung droht. Dann ist es möglich pädagogische Fachkräfte in Assistenz oder profilergänzende Kräfte einzusetzen. Hier zu kann ergänzend eine Vertretungskraft eingesetzt werden. (https://lsjv.rlp.de/fileadmin/lsjv/Themen/Kinder/Downloads/Kita/Rundschreiben/2022/39_Kita_RdSchr_LJA_Aenderung_KitaGAVO.pdf)
Die Fachkräftevereinbarung für Tageseinrichtungen für Kinder in Rheinland-Pfalz definiert Vertretungskräfte unter Punkt 10 wie folgt:
Die Tätigkeit als Vertretungskraft erfordert keine formale Qualifikation. Vertretungskräfte müssen nicht der Fachkräftevereinbarung entsprechen. Träger sollen jedoch nach Möglichkeit die Anstellung von Vertretungskräften mit einem möglichst hohen Qualifizierungsniveau gemäß der Fachkräftevereinbarung anstreben. Sofern eine entsprechende Gewinnung von formal qualifizierten Mitarbeitenden nicht gelingt, können anderweitige Personen als Vertretungskräfte beschäftigt werden.
Somit kann als Vertretungskraft, jeder der von Träger und Leitung als geeignet eingestuft wird, eingesetzt werden. Hierbei gilt zu beachten, dass die Verantwortung von der Leitung (bzw. dem Träger) getragen wird.
Durch diese Option können Eltern im Ehrenamt auch als Vertretungskraft eingesetzt werden.
Sollte eine Leitung sich zu dieser Option entschließen, empfehlen wir folgende Maßnahmen bzw. Absicherungen zu ergreifen:
- Jeder eingesetzte Elternteil muss ein Führungszeugnis vorlegen. Dies ist bei allen Mitarbeitern verpflichtend.
- Grundsätzlich ist eine Datenschutzerklärung zu unterzeichnen.
- Es muss ein Nachweis über die Masernschutzimpfung vorgelegt werden.
- Es ist zu empfehlen, dass die Eltern sich mit dem Kinderschutzkonzept und der Konzeption der Kita auseinandersetzen.
Bevor Eltern eingesetzt werden, ist klar zu kommunizieren, dass:
- Anweisungen des Personals zu befolgen sind
- Eltern sich in den laufenden Betrieb einfügen müssen.
- Regeln der Kita weiterhin gelten und nicht von Eltern angepasst werden dürfen.
Es ist zu empfehlen, den Einsatz von Eltern nicht erst in der Notsituation zu testen, sondern Probeläufe unter normaler Personalausstattung stattfinden zu lassen. Somit können sich Eltern vorab mit den internen Regeln befassen und es kann Vertrauen untereinander aufgebaut werden.
Ein großer Vorteil einer solchen Maßnahme kann darin bestehen, dass beide Seiten ein gegenseitiges, tiefgehendes Verständnis füreinander entwickeln.
Eltern haben so die Möglichkeit aktiv zu sehen, was Erzieher*innen täglich leisten. Es verbessert die gegenseitige Wertschätzung und erleichtert die zukünftige Arbeit.
Erfahrungsberichte aus Kitas zeigen, dass über den Einsatz, als Vertretungskraft bereits Eltern derart für die Arbeit in der Kita begeistert werden konnten, dass sie nun eine Ausbildung als Fachkraft aufgenommen haben.
Maßnahmenplan:
Der Maßnahmenplan ist mit den Eltern zu besprechen (Rundschreiben LSJV 2017-6 Handlungsplan Seite 6 unter 4 Maßnahmenplan). Es ist zu empfehlen, dies mindestens jährlich bei der Elternversammlung mit einzuplanen.
Grundsätzlich ist zur Berechnung des täglichen Personalbedarfs wichtig zu wissen, wie viele Kinder die Kita am Tag besuchen werden. Die meisten Kitas verfügen inzwischen über eine entsprechende App. Um die Personalplanung für die Leitung zu erleichtern, ist es hilfreich, wenn alle Eltern die Funktion zum Abmelden bzw. Krankmelden des Kindes nutzen. Diese Informationen gehen in ein weiteres System der Kita z.B. KIB. Wenn Erzieherinnen und Erzieher nicht anwesend sind oder sich krankmelden, berechnet das System automatisch, wie viele Kinder betreut werden können, basierend auf der Anzahl der verfügbaren Mitarbeitenden.
Wenn wir als Eltern zuverlässig die App nutzen, erleichtern wir somit die Planung!
Beispiel Maßnahmenplan:
Folgende Excel Tabelle wurde in Zusammenarbeit mit dem Elternausschuss der Kita Külz und der Kita Leitung erarbeitet. Diese Datei ist beim Jugendamt Rhein-Hunsrück-Kreis hinterlegt und wird anerkannt. Hier wird durch eine Stufeneinteilung klar dargestellt, wann wie viele Kinder kommen können, welche Aktivitäten möglich sind, welche Maßnahme bei welcher Personalausstattung zu ergreifen ist usw.
Diese Datei dient als Beispiel und muss individuell auf die jeweilige Kita angepasst werden!
Sie hat sich als klares und transparentes Mittel herausgestellt und Verständnis für verschiedene Maßnahmen geschaffen.
Wir möchten uns an diese Stelle nochmals für diese Variante eines Maßnahmenplans bedanken. Inzwischen nutzen viele diese Tabelle und haben damit eine bessere Kommunikation untereinander erreicht.
Hier geht es zur Datei:
https://kea-rhk.de/wp-content/uploads/2025/05/Matrix_Stufenplanung_03Mrz2025.xlsx
Neben den Maßnahmen, die bei Personalunterschreitung ergriffen werden können, macht es Sinn grundsätzlich mehr Personal in den Kitas einzusetzen. Auf diese Art kann der Alltag in einer Kita entlastet werden, schon bevor es zu Ausfällen kommt. Langfristig sollte dazu die gesetzliche Personalquote verbessert werden. Schon jetzt gibt es allerdings einige Möglichkeiten zusätzliches Personal in die Kitas zu holen.
Weitere Informationen gibt es hier:
https://kita.rlp.de/traeger-und-fachkraefte/fachkraeftesicherung-und-gewinnung
Bei Interesse an dem Thema kann gerne Kontakt mit dem KEA aufgenommen werden.